Waschen in der Behindertenhilfe: Konzeptentwicklung für das Betreute Wohnen der Lebenshilfe Düsseldorf

Anne Schmiegel, Absolventin der Hochschule Niederrhein, erstellte ihre Bachelorarbeit als Vorarbeit für die Lebenshilfe Düsseldorf e. V. Diese möchte zukünftig in ihrem Haus ein Konzept etablieren, bei der Bewohnerinnen und Bewohner eigenständig ihre Wäsche waschen. Schmiegel beleuchtete zunächst die politisch-rechtlichen sowie die sozialgesetzlichen Rahmenbedingungen für eine solche Tätigkeit. Im zweiten Teil begleitete Schmiegel geistig behinderte Menschen sowie deren Betreuerinnen und Betreuer beim ersten Versuch, die eigene Wäsche selbständig zu waschen. Sie erstellte einen Kriterienkatalog für Anforderungen an den Prozess des Wäschewaschens. Zudem erfasste sie in Interviews die Herausforderungen, Schwierigkeiten und begrenzenden Faktoren beim eigenständigen Waschen für die beiden Personengruppen. Daraus leitete sie Handlungshinweise für ein zukünftiges Konzept der Lebenshilfe ab.

Aktualisiert am: 14.02.2023
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Stuhlreihen in einem Hörsaal

Die Ausgangssituation

"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." (GG Art. 1 Abs. 1) Für Menschen mit Hilfebedarf zeigt sich Würde in der Fähigkeit, ein selbstständiges und eigenverantwortliches Leben zu führen. Dies gelingt den einzelnen Personen unterschiedlich gut. Um ihre Selbstständigkeit zu verbessern, erhalten sie ambulant im Betreuten Wohnen oder in stationären Einrichtungen Unterstützung. Dabei gilt der Grundsatz: "Hilfe – so wenig wie möglich, so viel wie nötig." Die Lebenshilfe Düsseldorf e. V. sieht den Prozess des Wäschewaschens als einen Bereich, in dem sie die Eigenständigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner fördern kann. In diesem Sinne beabsichtigt sie, ein Konzept zum eigenständigen Waschen im Betreuten Wohnen zu erarbeiten. Die Bachelorarbeit von Anne Schmiegel bildet die Grundlage für die Entwicklung eines solchen Konzepts im Bereich der Wäscheversorgung.

Politisch-rechtliche Rahmenbedingungen für Menschen mit Behinderung

Die politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen ermutigen Einrichtungen, derartige Konzepte zu erarbeiten. Allen voran steht das bereits zitierte Grundgesetz mit seiner Aussage "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt". Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) dient dazu, die Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung zu stärken; die Sozialgesetzbücher regeln die konkrete Umsetzung und Finanzierung: Menschen mit Behinderung erhalten besondere Sozialleistungen, um ihre Teilhabe an der Gesellschaft zu fördern und Benachteiligungen zu vermeiden, beziehungsweise diesen entgegenzuwirken. (BMAS 2016, S. 9) Die Sozialgesetzbücher I (SGB I), IX (SGB IX) und XII (SGB XII) thematisieren die Rechte von Menschen mit Behinderung.

Sozial-gesetzliche Rahmenbedingungen für Menschen mit Behinderung

Im Fokus der sozial-gesetzlichen Betrachtungen stehen für den Umgang mit Menschen mit Behinderung die Begriffe Inklusion, Empowerment und Independent Living. Inklusion zielt auf gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Handicap am Leben in der Gesellschaft ab. Empowerment bedeutet einerseits sich selbst zu befähigen, Tätigkeiten eigenständig auszuführen und andererseits andere Personen in die Lage zu versetzen, sich selbst zu helfen (Theunissen 2001); sie bekommen die "Power" für ihre Lebensgestaltung. Das Independent Living vollzieht einen Perspektivenwechsel auf die Person mit Behinderung. Nicht das Individuum mit Handicap verursacht das Problem in der Gesellschaft, sondern die nicht zu dem Menschen passende Umwelt. Diese Ansätze helfen zu verstehen, wie die Lebenshilfe Düsseldorf e. V. die Ansprüche an den Waschprozess festlegt.

Der Testlauf

Betreutes Wohnen stellt eine Wohnform des privaten Wohnens mit größtmöglicher Selbstbestimmung und Teilhabe dar. Die Arbeit orientiert sich daher an Empfehlungen und Vorgaben zum Waschen im privaten Wohnen. In einem ersten Schritt entstand ein Katalog, der alle Aspekte des Waschprozesses auflistete, die für das Waschen im Betreuten Wohnen von Bedeutung sind. Dazu gehören z. B. die räumliche Ausstattung, die möglichen Arten der Schmutzwäschesammlung oder die Reinigung der Waschmaschine. Dieser Katalog bildete die Grundlage für das weitere methodische Vorgehen. Anhand dessen beobachtete und begleitete man Bewohnerinnen und Bewohner des Betreuten Wohnens bei der Durchführung ihres Waschprozesses. In einem zweiten Schritt interviewte Schmiegel die Bewohnerinnen und Bewohner und Betreuerinnen und Betreuer zur Durchführung des Waschprozesses. So ermittelte Schmiegel Rahmenbedingungen, Besonderheiten und Unterstützungsbedarfe für ein zukünftiges Konzept.

Erkenntnisse aus dem Testlauf

Selbstbestimmte Lebensführung fordern und fördern

Den Aspekt "Selbstbestimmte Lebensweise fördern" setzen die Betreuenden im Bereich Wäschewaschen mit intensiver Beratung um. Sie erläutern beispielsweise, wie Wäsche sinnvoll sortiert werden kann, klären über Konsequenzen des falschen Sortierens auf und unterstützen die Bewohnenden bei der Umsetzung. Zur Selbstbestimmung gehört es dann aber auch zu akzeptieren, wenn die Bewohnerinnen und Bewohner andere Vorgehensweisen umsetzen möchten und so z. B. die rote Socke mit der weißen Wäsche waschen. Dann kann es vorkommen, dass die Betreuerinnen den Angehörigen und gesetzlichen Betreuern gegenüber ihre Haltung und Handlungsweisen erklären und sogar verteidigen müssen. Aber auch sie müssen die Selbstbestimmung der Bewohnerinnen akzeptieren. Für das Selbstbewusstsein der Bewohner ist es wichtig, die Tätigkeiten selbstständig auszuüben. Das Meistern alltäglicher Handlungen, wie das Waschen der Wäsche, steigert das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Zeigt es doch, dass der Alltag in Eigenverantwortung bewältigt werden kann. Ganz nach dem Gedanken des Empowerments üben die Betreuenden daher die einzelnen Prozessschritte des Waschens mit den Bewohnerinnen ein.

Alltagsaufgaben vermitteln Stabilität und Sicherheit

Der Alltag ist durch seine immer wiederkehrenden Aufgaben gekennzeichnet. Dies vermittelt Stabilität und Sicherheit, ein Waschplan kann das noch verstärken. Er zeigt an, welcher Bewohner an welchem Tag seine Wäsche waschen darf. Die zeitliche Zuordnung bringt den Bewohnerinnen und Bewohnern Sicherheit und sorgt dafür, dass keine Konflikte zwischen den Bewohnern auftreten. Die Recherchen bestätigen, dass das Betreute Wohnen aus rechtlicher Sicht wie ein Privathaushalt gehandhabt werden kann. D. h. neben den üblichen alltäglichen Praktiken zur Gewährleistung von Hygiene und Sauberkeit müssen keine besondere Hygiene-Maßnahmen ergriffen werden. Das gilt insbesondere für den Bereich des Desinfizierens der Wäsche. Dies ist im Privathaushalt nicht notwendig. Die Befragungen zeigten, dass die Vorgehensweisen der Bewohnerinnen beim Wäschewaschen sehr unterschiedlich erfolgen können. Abhängig ist dies vom Interesse und der Motivation des Bewohners, vom Verständnis und Bewusstsein für die Prozessschritte und von den motorischen Fähigkeiten. Daraus ergeben sich unterschiedliche Unterstützungsbedarfe der Bewohnerinnen und Bewohner. Die Betreuer müssen ihre Bewohner gut kennen und entsprechend auf ihre Bedürfnisse eingehen und handeln.

Herausforderungen und Lösungsansätze

Ein Korb voller Wäsche
Entscheidungen der Bewohnerinnen und Bewohner müssen akzeptiert werden

Trotz der individuellen Vorgehensweisen im Waschprozess zeigen sich an ähnlichen Prozess-Schritten Schwierigkeiten, z. B. beim Sortieren der Wäsche. Das Erkennen unterschiedlicher Textilarten ist für einige Bewohner kompliziert. Daher wird vorwiegend nach Farben sortiert. Zudem ist das Dosieren des Waschmittels eine große Herausforderung. Eine hauswirtschaftliche Fachkraft beriet alle Bewohnerinnen des Hauses persönlich über den Einsatz von Waschmitteln. Doch das Erkennen, dass andere Situationen oder Verschmutzungen andere Dosierungen oder Waschmittel benötigen, fällt Menschen mit Behinderung schwer. Einige von ihnen umgehen die Notwendigkeit der Dosierung, indem Waschmittelpads verwendet werden. Dies ist ganz im Sinne des Independent Living. Nicht der Mensch mit Handicap muss sich auf die Umwelt einstellen, sondern umgekehrt, die Umwelt sich dem Menschen anpassen.

Motorisch eingeschränkte Bewohnerinnen und Bewohner brauchen besondere Unterstützung

Auffällig sind zudem die motorisch eingeschränkten Fähigkeiten der Bewohner. So stellen das Aufhängen der gewaschenen Wäsche auf den Wäscheständer oder das Zusammenlegen der trockenen Wäschestücke für die Bewohnerinnen eine Herausforderung dar. Die Unterstützung der Betreuer ist bei diesen Prozessschritten unumgänglich. Im Haus gibt es keine entsprechend große Fläche zum Zusammenlegen der Wäsche. Dies wird auf den Wäscheständern vorgenommen. Das Schaffen einer entsprechend großen, freien und sauberen Fläche könnte dieses Problem schnell und einfach lösen.

Standardisierung ist sinnvoll

Die Gespräche mit den Betreuern offenbaren eine gewisse Unsicherheit in der Ausführung des Waschprozesses. Da keiner der Mitarbeitenden über Fachkenntnisse zu diesem Thema verfügt, beruht das Wissen in der Regel auf der Wissensweitergabe durch die eigene Mutter, durch das Internet oder durch die selbstständige Erarbeitung in Form von "try and error". Dies bewirkt, dass unterschiedliche Herangehensweisen beim Waschprozess praktiziert werden. Problematisch wird dies, wenn ein Bewohner mehreren Betreuern zugewiesen ist, die jeweils unterschiedliche Vorgehensweisen vermitteln. Eine hauswirtschaftliche Schulung der Mitarbeiterinnen und die Festlegung standardisierter Prozess-Schritte könnte den Betreuern helfen. Ebenso könnten schriftlich festgehaltene Standards das Arbeiten für alle Beteiligten einfacher gestalten. Es ließe sich beispielweise festlegen, welche Wäscheteile bei welcher Temperatur gewaschen werden oder wie viel Waschpulver eingesetzt werden sollte. Diese grundsätzlichen Standards böten eine Basis, auf die sowohl Bewohner als auch Betreuer zurückgreifen könnten.

Schlussfolgerungen für die künftige Konzepterstellung

  1. Im Waschprozess brauchen Menschen mit Behinderung an vielen unterschiedlichen Schritten Unterstützung.
  2. Jeder Bewohner, jede Bewohnerin hat andere Fähigkeiten, Wünsche und Möglichkeiten, die beachtet werden sollten.
  3. Alles, was die Selbstständigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner fördert, ist erlaubt, auch wenn aus hauswirtschaftlicher Sicht andere Lösungen sinnvoller wären.
  4. Hauswirtschaftliche standardisierte Schulungen für Betreuungspersonen sind zur Informationsgewinnung sinnvoll. 
  5. Vereinbarte schriftliche Standards helfen, gleichbleibende Empfehlungen weiter zu geben. Diese sollten bei den Waschmaschinen einzusehen sein.